Menschliche
Würde und Gemeinwohl in
der Arbeitsmarktpolitik zusammenfügen
von
Peter Kroh
[
In der Nähe der Macht halten ( fast ) alle den Zerrspiegel der
Selbst-Täuschung
bereit.
Günter
H., PDS-Mitglied Neubrandenburg , 2001 ]
Knapp
oder reichlich 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland, mal klare, mal
verbrämte
– immer aber suggestiv wirksame -
Vorwürfe an die vermeintliche Passivität der Arbeitssuchenden
und immer
wieder neue Varianten, die Arbeitslosigkeit durch Drücke aller Art auf
die
Arbeitslosen zu senken, – das kennzeichnet ganz wesentlich auch nach
der
jüngsten Bundestagswahl die Lage in unserem Land .
Der
Wahlsieg von SPD und Grünen wird aber nur Bestand haben, wenn der Wert
„Arbeit
und Gerechtigkeit“ als Ziel der Politik und
in der Lebensrealität der Menschen wieder erkennbar wird. Nach den 16
Jahren
Kohl noch einmal weitere vier Jahre Schröder mit der neoliberalen
Grundausrichtung aller wesentlichen politischen Entscheidungen – das
werden die
Wähler von rot-grün nicht honorieren. Es gibt, wie Willy Brandt einmal
sagte ,
in Deutschland eine Mehrheit links von der Union. Politisch tragfähig
und
gesellschaftlich wirksam wird sie allerdings nur, wenn die politischen
Führungen die großen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung von
einem
Standpunkt aus beantworten, den ich als Blick „von unten“ und
„von „links“ bezeichnen möchte.
Nach
der Bundestagswahl haben deshalb auch die großen christlichen Kirchen
angemahnt, die Lösung drängender politischer Fragen nicht länger
aufzuschieben.
Darunter verstanden der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg ,
Huber
ebenso wie der Essener Diözesanadministrator, Weihbischof Grave vor
allem
bessere Ausbildungschancen für die Jugend, unumkehrbare Wege aus der
Arbeitslosigkeit und verbesserte Bedingungen für Familien.
In
der Tat, Deutschland braucht einen Politikwechsel, auch wenn und gerade
weil es
keinen Regierungswechsel gegeben hat. Das erfordert nicht zuletzt ein
Brechen
mit herkömmlicher Logik und mit – leider auch von Linken unter den
Christen und
Atheisten - nicht mehr hinterfragten ,
scheinbar „ewigen“ Grundvoraussetzungen der Arbeitsmarktpolitik.
Vor
Jahrzehnten gab es die „konzertierte Aktion“, seit Jahren ein „Bündnis
für
Arbeit“ , kürzlich wurde die Bundesanstalt für Arbeit ( nicht etwa
wegen zu
geringer Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern nach der Aufdeckung
falscher
Statistiken !) umstrukturiert, nun gibt es die Ergebnisse der
„Hartz-Kommission“. All das war und ist gedacht als politisches Mittel
gegen
die Arbeitslosigkeit im entwickelten realen Kapitalismus der
Bundesrepublik
Deutschland.
Und
all das hat bisher so nicht gewirkt und wird es in Zukunft nicht tun.
Mit
welchem Recht kann man solche Behauptungen aufstellen ?
Der
Kern der Begründung besteht darin, dass alle diese Mittel, Instrumente
und
Institutionen durchaus kritisch analysieren und das – möglicherweise
subjektiv
durchaus ehrlich gemeinte - Ziel haben , Zustände zu verändern, aber
dennoch
stets am Symptom „herumdoktern“ und die Ursachen außer acht lassen.
Heraus
kommt dabei eine Art „Lamento-Politik“. Gibt es neue Zahlen für die
Arbeitslosigkeit, gibt es neue Klagen über die faulen Arbeitslosen,
gibt es den
neuen Ruf nach neuen Maßnahmen, Kommissionen oder neuen Befugnissen;
mal für’s
Arbeitsamt, mal für’s Sozialamt, mal für beide. Manchmal schien es
auch so,
als würden die Erfinder neuer Maßnahmen etwa derart denken: Wir wissen
zwar
nicht genau, wohin das führt, aber dafür sind wir schneller dort !
Manche tun
auch so, als entstünde Arbeitslosigkeit nicht mitten in dieser
Gesellschaft,
sondern werde ihr sozusagen von außen angetan. Sie machen dann auch
eine
Arbeitsmarktpolitik, die eher ans Bleigießen zu Silvester erinnert,
nämlich die
Masse ordentlich erhitzen, das Ganze genügend am Kochen halten, spontan
ins
kalte Wasser gießen und dann schauen, was draus geworden ist.
Beim
Thema „Arbeitslosigkeit“ geht es jedoch ganz offensichtlich um eine
sehr
grundsätzliche Sache im Leben jedes einzelnen ebenso wie im Leben der
Gesellschaft. Sie verträgt keine „Kurpfuscherei“ , sondern verlangt
ehrliche,
korrekte Diagnose sowie entschiedene Therapie.
Im
folgenden muss deshalb auch – und da bitte ich den geneigten Leser um
Geduld
und Verständnis – sehr prinzipiell argumentiert werden, ohne den
konkreten
Alltag aus dem Blick zu verlieren.
Arbeit
für alle – die politische Gestaltung einer solchen Gesellschaft ist
weder ein
abstrakt-akademischer Diskurs für behagliche Stunden im kleinen Kreis
noch die
Aufgabenstellung für rrrevolutionäre
Weltverbesserungspläne. Arbeit für alle – das ist vielmehr ein
moralischer,
politischer, sozialer und wirtschaftlicher Imperativ ! Arbeit für alle
– das ist
eine auf Gemeinwohl, Gerechtigkeit , sozialen Frieden und
individuelles
Wohlergehen zielende Forderung. Denn : „Arbeitslosigkeit (ist) ein
existentielles, soziales und politisches Problem ersten Ranges.“/1/
Arbeitslosigkeit ist eine Beschränkung und Verletzung menschlicher
Würde
infolge struktureller Gewalt. Sie beraubt den einzelnen (resp. die
einzelne )
der Anwendung erworbener Fähigkeiten und Fertigkeiten, sie entzieht
ihm (resp.
ihr) die eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens, sie ist ein
Anschlag auf
das Selbstbewusstsein , sie beeinträchtigt das seelische Wohlbefinden,
sie
schmälert die soziale Anerkennung, sie ist oft der Einstieg in die
Verarmung
und sie produziert so eine tiefe und schädliche Spaltung der
Gesellschaft.
Arbeitslosigkeit ist ein moralischer, politischer, sozialer und
wirtschaftlicher Skandal erster Güte. „Obwohl die Arbeitslosigkeit ein
gesamtwirtschaftlicher Problem darstellt, ist das Vorurteil weit
verbreitet,
sie beruhe auf individuellem Versagen. Viele Arbeitslose beziehen
solche
Schuldzuweisungen auf sich, ziehen sich aus Scham zurück und fühlen
sich
vielfach ausgegrenzt. Sie vermissen die Chance, ihren Lebensunterhalt
eigenständig zu sichern, Kontakte zu pflegen, sich weiter zu
qualifizieren und
am gesellschaftlichen Leben verantwortlich zu beteiligen.“ /2/
Auch
deswegen haben die Gründerväter und –mütter der modernen
Menschenrechtsauffassung nach Ende des 2.Weltkrieges in einem
völkerrechtlich
gültigen Dokument formuliert : “Jeder
Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit;
er hat
Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale
Zusammenarbeit unter Berück-sichtigung der Organisation und der
Hilfsmittel
jedes Staates in den Genuß der für seine Wür-de und die freie
Entwicklung
seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechte zu gelangen. Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit,
auf
freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen
sowie
auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Alle Menschen haben ohne jede
unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche
Arbeit.
Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und
befriedigende
Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde
entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere
soziale
Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.“
/3/ Die Arbeit ist „zugleich
auch eine Quelle von Rechten des Arbeitnehmers. Diese Rechte müssen
untersucht
werden im großen Zusammenhang der Menschenrechte ins-gesamt, der
Rechte, die
sich aus der Natur des Menschen ergeben und von denen viele durch
verschiedene
internationale Stellen proklamiert sind und von den einzelnen Staaten
für ihre
Bürger immer mehr garantiert werden.“/4/
Schon
vor diesem Hintergrund muss deshalb gefragt werden, ob in der
Bundesrepublik
nicht ganz andere ( wirtschafts- und sozial-) politische Schritte
notwendig
sind, wenn wir die Arti-kel 25 ; 1(1 und 2) und 14 (2) des
Grundgesetzes
ernsthaft als Maßstab der Verfassungswirklichkeit im Alltag der Bürger
nehmen
? Denn die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des
Bundesrechtes und gehen den Bundesgesetzen vor. Die Würde des Menschen
ist
unantastbar , sie „zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller
staatlichen
Gewalt“, die „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“ sind
für das
deutsche Volk „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens
und der
Gerechtigkeit in der Welt.“ Dafür ist auch das Eigentum in die Pflicht
zu
nehmen, „sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit
dienen.“
Mitunter scheint es
so, als ob
es im Bundestag und in den Länderparlamenten keine Sensibilität für
die
Erfordernisse des Grundgesetzes mehr gäbe, als ob die
Parlamentsparteien
„grundgesetztaub“ (oder zumindest –schwerhörig) wären.
Prinzipiell
muss deshalb gefragt werden: Ist das Grundgesetz für die Parteien eher
mehr
eine Barriere, eine Behinderung für ihre Politik oder doch noch immer
ein
Orientierungshinweis, ein Wegweiser ?
Aber
nicht allein das Grundgesetz nimmt Partei für Menschenrecht und Würde .
Beide
großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland
unterscheiden
„drei Arten von Menschenrechten“. Neben den individuellen
Freiheitsrechten und
den politischen Mitwirkungsrechten sind das für den hier behandelten
Sachverhalt die besonders wichtigen „wirtschaftlich - soziale(n) und
kulturelle(n) Grundrechte, die den Anspruch auf Teilhabe an den
Lebensmöglichkeiten der Gesellschaft begründen und Chancen
menschlicher
Entfaltung sichern: Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen
Leben, Recht
auf Arbeit und faire Arbeitsbedin-gungen, Recht auf Eigentum, Recht auf
soziale
Sicherung und Gesundheitsversorgung auf Wohnung, Erholung, Freizeit.“/5/
Konkret zu fragen ist
z.B.(und eigentlich müssten all diese Fragen von einem Aufschrei
begleitet
sein) : Wie erfüllt denn die „staatliche Gewalt“ ihre Pflicht, die
Würde auch
der Millionen Arbeitslosen zu schützen ? Was tut sie wirklich , um das
Recht
auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit (zwischen
Männern und Frauen, zwischen West und Ost z.B.) endlich
umfassend zu sichern ? Wie und mit welchen Hilfsmitteln organisiert
die
staatliche Gewalt in der Bundesrepublik, dass alle Bürgerinnen und
Bürger tatsächlich
in den Genuss der für ihre Würde und die freie Entwicklung ihrer
Persönlichkeit
unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte
gelangen ?
Ist nicht ein Wandel des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens (eher früher
als
später!) unumgänglich ? Müssen wir nicht aufhören, Wirtschaftspolitik
so zu
verstehen und zu betreiben , dass für bestimmte Interessen der
Wirtschaft
Politik gemacht wird ? Muss Politik nicht künftig (wieder?) stärker
sichern ,
dass wirtschaftliches Handeln sich an politisch definierten
Zielstellungen ausrichtet
? „Von der Verwirklichung der Menschenrechte kann nur dann gesprochen
werden,
wenn die staatliche Rechtsordnung die elementaren Rechte jedes Menschen
unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Herkunft oder seinen
individuellen
Merkmalen schützt und diese Ordnung von allen Beteiligten anerkannt
wird.“ /6/
Die
Akzeptanz solcher Fragen und die Suche nach Antworten ist daran
geknüpft, den
Standpunkt abzulehnen, der Mensch sei für die Wirtschaft da. Oberste
Prämisse
ist statt dessen : die Wirtschaft ist für den Menschen da. Denn nur
damit gerät
der Mensch, seine schöpferischen Fähigkeiten, die Nutzbarmachung seiner
Fertigkeiten in den verschiedensten Tätigkeiten in den Mittelpunkt. Diese Art, ökonomisch zu denken , kann
zu einem politisch wirksamen Faktor bei der Bewältigung der
Arbeitslosigkeit
werden. “Noch einmal könnten sich die Fragen der Organisation und der
Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit als der Dreh- und Angelpunkt
des
historischen Veränderungsgeschäftes erweisen. Allerdings nur dann, wenn
wir es
schaffen, die Arbeit aus ihrer industrialistisch-kapitalistischen
Verengung zu
lösen und sie wieder in den konkreten Lebenszusammenhang der Menschen
zu
stellen – begrifflich und praktisch.“/7/
In
der Menschheitsgeschichte waren viele Jahrhunderte lang die Herkunft,
die
Geburt, das Geschlecht, das Eigentum die Grundlage für die Entwicklung
der
Individuen ebenso wie für die der Gesellschaften. Mit den zwei
„Kopernikanischen Wenden“ in der Herausbildung der frühbürgerlichen
Gesellschaft wird zum einen die Sonne zum Zentrum des neuen Weltbildes
und zum
anderen die Leistung des einzelnen im Handwerk, im Handel, im Ackerbau
zum
kulturprägenden Kriterium für die Subjektwerdung der Individuen.
Arbeit , d.h.
Verausgabung lebendiger Arbeitskraft, die ihres Lohnes würdig ist, ist
Grundlage für ein selbstbestimmtes
Leben , für individuelle Sinnfindung. Denn wir wissen es
spätestens seit
Martin Luther : „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum
Fliegen.“
/8/
Zwischen
dem 13. und 16. Jahrhundert entwickelte sich (mit viel Gewalt!) die
fabrikmäßige Herstellung von Gütern. Marx nennt das später die
ursprüngliche
Akkumulation. Ohne diesen widerspruchsvollen Prozess hier ausführlich
würdigen
zu können, ist doch festzuhalten, dass die Arbeit, die Verausgabung von
Kraft
und Nerven des lebendigen Menschen, der unaufhebbare
sinnlichgegenständliche
Austausch zwischen Mensch und Natur einen immer höheren Stellenwert in
den
Normen des Alltags der Arbeitenden erreicht. Der Adel
verachtete noch
(vermeintlich „niedere“) Handarbeit(er) . Mit dem Frühbürgertum wird
jedoch
schrittweise die lebendige Arbeit zu einem wesentlichen Faktor - und das ist für unser Thema äußerst
wichtig - auch der Sozialisation der Herrschenden und
der Humanisierung der Gesellschaft.
Die
bürgerliche Gesellschaften, vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts
nahmen
schrittweise die individuell-kulturelle und die sozial-kulturelle
Dimension der
lebendigen Arbeit zurück und setzten durch erweiterte Akkumulation,
Zentralisation und Konzentration kontinuierlich eine politische
Ökonomie des
Kapitals, des Marktes , der toten Arbeit, an ihre Stelle. Genau durch
die
systematische Ausblendung der kulturellen Dimension, durch die
praktische und
begriffliche Vernachlässigung des konkreten Lebens entstanden (und
entstehen
immer wieder !) die zerstörerischen Effekte, die in der grenzenlosen
Raffgier
der einen und in der strukturellen Massenarbeitslosigkeit der anderen
zutage
treten. Weder menschliche Emanzipation noch befriedigende
Arbeitsverhältnisse,
weder gerechte Organisation des Arbeitslebens noch gerechte Verteilung
seiner
Ergebnisse, weder eine vernünftige Form der Strukturierung des
Gemeinwesens
noch Solidarität mit den Schwachen und Hilflosen kommen in der
politischen
Ökonomie des Marktes vor. Die Bourgeoisie „hat die persönliche Würde
in den
Tauschwert aufgelöst." / 9/ Seit dem Erscheinen der päpstlichen
Enzyklika
„Rerum Novarum“ im Jahre 1891 wurde „das Problem der Arbeit zur
Grundlage des
großen Konfliktes, der in der Epoche der industriellen Entwicklung und
Hand in
Hand mit ihr zwischen der ‚Welt des Kapitals‘ und der ‚Welt der Arbeit‘
auftrat...Dieser Konflikt entstand dadurch, daß die Arbeiter ihre
Kräfte der
Gruppe der Unternehmer zur Verfügung stellten und diese, weil vom
Prinzip des größten
Gewinns geleitet, darum bestrebt war, für diese Leistung der Arbeiter
eine
möglichst niedrige Entlohnung festzulegen. Dazu kamen noch andere
Elemente der
Ausbeutung ...“/10/ Die Gesellschaft
produziert auf ökonomischem Weg notwendig die Arbeitslosen, die sie auf
politischem Weg (scheinbar!) verhindern will.
In
der Gegenwart bricht der räuberische Wildwuchs der kapitalistischen
Ökonomie,
die Maßlosigkeit des Marktes, der „Terror der Ökonomie“
(V.Forrester) alle zivilisatorischen
Schranken für das Kapital nieder. Der neoliberal entfesselte
Kapitalismus hat
den kulturprägenden , elementaren Gedanken Luthers über die Kongruenz
von
Person und Arbeit zum Verschwinden gebracht
(oder ist noch dabei – das ist schon ein Teil der Hoffnung des
Autors) und
will an seine Stelle unverrückbar die nackte und brutale Logik von
Markt und
Kapital setzen (oder hat dies bereits getan ?
– das ist ein Teil der Befürchtungen des Autors). Neoliberaler
Kapitalismus pur – das ist ein Monstrum ! Eine Marktwirtschaft, die
völlig
frei ist von sozialen und moralischen Bindungen , von einem
Gebunden-Sein an
das Gemeinwohl und die menschliche Würde – das ist eine apokalyptische
Vorstellung, die in Ansätzen schon Realität ist.
Nur
in einem solchen gesellschaftlichen Kontext, in dem fast alle
Widerstände
eliminiert, fast alle Kontrollen verhindert, fast alle Gegenpositionen
verunglimpft, fast alle Barrieren abgebaut sind, ist es möglich, dass
Konzerne
stolz drauf sind, keine Steuern zur Finanzierung des Gemeinwohls zu
zahlen, dass
der damalige Nestle-Chef Arbeitslose als „Wohlstandsmüll“ bezeichnete
und so
1997 das „Unwort des Jahres“ kreierte. Nur so ist es möglich, dass der
da-malige BDI-Präsident Necker angesichts fehlender Investitionen im
Osten und
unter Leugnung jedweder Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ( also
genau
genommen unter Verstoß gegen die Verfassung der Bundesrepublik
Deutschland )
zynisch erklärte, das Kapital geht überall hin, wo es sich wohl fühlt.
Nur so
ist es möglich, dass die ins Auge gefassten Lösungen zur Bekämpfung
der
Arbeitslosigkeit immer zu Lasten des Arbeitenden, zu Ungunsten der
lebendigen
Arbeit gehen. Sozusagen prototypisch steht dafür der bekannte
Unternehmensberater Berger. Er behauptete im März 2001,
„Vollbeschäftigung ist
möglich“ . Dazu allerdings müßten hemmende Faktoren beseitigt werden.
Für ihn
sind das „...der überzogene Kündigungsschutz, die Beschränkung von
Zeitverträgen, das Recht auf Teilzeit, die Ausweitung der
Mitbestimmung.“ /11/.
Bei den Arbeitenden also muss man nach seiner Meinung die Schrauben
noch etwas
härter anziehen, und zwar möglichst frühzeitig, möglichst schnell und
möglichst
hart. Auch die CDU/CSU setzt mit ihrer „Offensive 2002 – Aufschwung für
Arbeit“ auf eine radikale Marktsteuerung aller Elemente des
gesellschaftlichen
Lebens. Mit Niedriglöhnen , dieser neuen Erscheinungsform von
Zwangsarbeit mit
Verelendungsfolgen , jedoch erhöht sich nur die Zahl nicht
existenzsichernder
Arbeitsverhältnisse , Absolventen und Fachleute werden außer Landes
getrieben,
die Würde des Menschen wird den Verwertungsinteressen des Kapitals
untergeordnet – oder anders gesagt: Die Ökonomie der toten Arbeit
bestimmt die
lebendige Arbeit. Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit, die die Rechte von Arbeitenden und Arbeitssuchenden
beschränken, ähneln der Entscheidung
eines Arztes, der dem Patienten den verstauchten und stark schmerzenden
Fuß
amputiert mit der Begründung, was weg ist, kann ja nicht mehr weh tun. In bestimmter Hinsicht gewinnt man jedoch –
ohne jede Wertung vollinhaltlich zu akzeptieren ! -
ein Stückchen Optimismus, wenn auch ein sachkundiger Christ,
wie
der frühere Bundesarbeitsminister Blüm kritisiert : „Die Kapital- und
Finanzströme umkreisen den Erdball auf der Datenautobahn – und die
Menschen
hetzen hinterher... Die Menschen folgen den Arbeitsplätzen wie die
Zugschwalben der Sonne. Das ist der letzte Schrei der Verwirtschaftung
der
Gesellschaft, die nicht weniger menschenfeindlich ist wie die alte
Vergesellschaftung der Wirtschaft, gegen die wir im Westen erfolgreich
angekämpft haben. Jetzt kommt die Menschenverachtung durch die
Hintertür ins
Haus geschlichen und maskiert sich als Liberalisierung.“ /12/
Passen
einige Vorschläge der Hartz-Kommission , z.B. verschärfte
Zumutbarkeitsregeln
mit Verlagerung der Beweislast auf die Arbeitssuchenden, d.h. zügige
Lohnabsenkung und Qualifikationsentwertung, oder Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, d.h. Senkung der Lohnersatzleistungen,
nicht
genau in diesen Denkansatz ? Die „Ich-AG“ greift einen Vorschlag des
amerikanischen Mangement-Beraters Peters auf. Der definiert das so :
„Wir sind
die Manager unserer eigenen Firma, der Ich-AG. Um heute im Geschäft zu
bleiben,
ist es unser Hauptanliegen, Marketingchef der Marke Ich zu sein.“ /13/ Mein „Ich“ soll eine Aktiengesellschaft
werden, die (von mir !) ausschließlich nach Prinzipien der Ökonomie
gelenkt
wird. Der Gedanke der Selbstbestimmung wird mißbraucht, um
Selbstvermarktung
und –ausbeutung zu begründen. Das Recht auf Freizügigkeit wird für
Arbeitslose
aufgehoben, wenn sie jeden Job „irgendwo“ akzeptieren müssen. Die
Halbheiten
von „Hartz“ werden - selbst bei kurzfristig einsetzenden „Erfolgen“ –
den
Arbeitsmarkt weiter neoliberal formen.
Einen
Schritt fort von den jetzigen Zuständen kommen wir damit gewiß, aber
ein
Fortschritt ist das nicht.
Linken
Christen und Atheisten stellt sich die Frage : Ist es nicht ein Teil
des
Skandals der Massenarbeitslosigkeit, dass die , die mehr als alles
haben und
nichts davon hergeben wollen, die vermeintlich klügsten Vorschläge
machen, was
Arbeitslose tun sollen und was man mit ihnen tun sollte ?
Die
Arbeitslosigkeitsexperten von Schröder und Stoiber , die Herren Hartz
und
Späth, wirken auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik wie Leute, die einen
Wettkampf im Pflügen bestreiten. Dabei gewinnt derjenige, der am
meisten Erde
aufwirft und dabei den größten Medienlärm erzeugt. Ob etwas wächst, ist
uninteressant, denn gesät wird ja nicht. Und dabei sind die vier
Millionen
Arbeitslosen „nur“ eine Form asozialer Degradierung des Menschen. Wer
bedenkt
die Masse an verschenkter – weil weder für die individuelle Würde noch
für das
allgemeine Wohl nutzbringender – lebendiger Arbeit derjenigen, die zu
Kurzarbeit verdammt sind oder der
vielen geringfügig Beschäftigten, die aber eine volle Stelle suchen oder der ABM-Teil-nehmer, die wissen,
auch nach der Maßnahme sind sie arbeitslos und die nur mitmachen, um zu
Hause
nicht völlig zu verblöden oder die
wohl oder übel in den Vorruhestand „Gezwungenen“ oder die Hoch- und
Fachschulabsolventen, die – ohne genau zu wissen, wozu –
weiterstudieren, weil
sie keinen Job finden...
Müssen nicht
Katastrophen in
Südamerika, wo die ersten Staatsbankrotte des 21.Jahrhunderts im Sog
des
Neoliberalismus (verursacht u.a. durch eine extreme Ausweitung von
Niedriglöhnen
sowie durch enorme Privatisierung von Staatsvermögen !)
stattfinden, Linke unter Christen und
Atheisten angesichts globaler Abhängigkeiten zum ernsthaften Nachdenken
anregen
?
Mit
dem Regierungswechsel 1998 war nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch
Innovation
versprochen. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der
Bundesregierung
jedoch blieb ängstlich ,einfallslos, in ausgefahrenen Gleisen , sie
war weder
innovativ noch gerecht. Der neoliberale Kurs wurde – nach ein paar
kleinen
Gerechtigkeits-„Reparaturen“ am Beginn der Regierung Schröder -
phantasielos
übernommen und nachfragevernichtend fortgesetzt. „Nach dem Abgang
Lafontaines
ist Schröder den produzierenden Unternehmen und dem zinstragenden
Kapital in
den vergangenen drei Jahren so weit entgegengekommen, wie kein
deutscher
Sozialdemokrat vor ihm... Nach dem kurzen Duumvirat mit Lafontaine hat
Schröder
seine Zukunft in der Kontinuität zu Kohl, in der wirtschaftspolitischen
Vergangenheit gefunden : Standortpflege durch unternehmerfreundliche
Steuerpolitik, permanenter Mäßigungsappell an die Beschäftigten,
Beschränkung
öffentlicher Investitionen im Interesse einer schematischen
Haushaltkonsolidierung, weitgehender Verzicht auf die
anderenorts...erfolgreich
umgesetzte Kombination von Flexibilität und sozialer Sicherheit.“ /14/
Die
andauernde Massenarbeitslosigkeit macht das wie keine andere
gesellschaftliche
Erscheinung deutlich.
Dieser
Skandal schreit zum Himmel, aber keine der Parteien entwickelt
ernsthaft
politischen Widerstand , wenn auch aus unterschiedlichen Gründen . Von
den
konservativen und neoliberalen ist natürlich kein Aufschrei zu
erwarten, sie
sind entweder politische Vertreter der
Nutznießer „der wirtschaftspolitischen Vergangenheit“ und damit
diejenigen, denen die skandalöse Spaltung der Gesellschaft noch nicht
weit
genug geht. Sie wollen diese Entwicklung und sie befördern sie. Von
linken
Politikern in mehreren politischen Parteien der Bundesrepublik ist
allerdings
auch kein Notsignal zu hören, oft schon deshalb , weil sie – beim
tagtäglichen
Manövrieren zwischen der Skylla
politischer Einflußlosigkeit und der Charybdis opportunistischer
Angepaßtheit
- fast nur in der Logik des Kapitals denken ! Das ist bis zu einem
gewissen
Grad verständlich und die Balance ist gewiß im politischen
Alltagsgeschäft
stets schwierig. Aber : Wo sollen denn Impulse für eine
wirtschaftspolitische
Zukunft entstehen, wenn nicht bei den Linken ? Dürfen deshalb Linke
krisenvertiefende Lösungen mitgehen, wo eher Maßnahmen zur Überwindung
des
Neoliberalismus auf der Tagesordnung stehen ? Haben sich linke
Politiker/innen
dadurch nicht in die Gefahr gebracht, über die Legislatur einem
bestimmten
Schein, einer Täuschung zu unterliegen und am „Zahltag“ dafür durch ein
Kreuz
auf einem Wahl-Schein eine Ent-Täuschung hinnehmen zu müssen ? Wenn
Linke den
entfesselten Profitmechanismus mit seinen Folgen der dauerhaften
Massenarbeitslosigkeit nicht radikal und kritisch als
gesellschaftspolitischen
Skandal wahrnehmen, dann wird schrittweise aus der Bedrohung Realität,
dass sie
infolge ständiger Demut gegenüber dem Kapital ihre eigentlichen
gesellschaftlichen Ansprechpartner aus den Augen verlieren. Ist das von Dauer, dann wäre es nicht nur
ein folgenschwerere Irrtum, es wäre tödlich.
Sind
sich Linke bewusst, dass die sogenannte Wählerwanderung ihren Ursprung
nicht
darin hat, dass die Parteien ihre Anhänger ungenügend mobilisieren,
sondern
darin, dass der neoliberal entfesselte Kapitalismus die Demokratie
zerstört ?
Wähler reagieren oft wie Kranke. Haben sie mehrere Ärzte vergeblich um
die
Linderung ihrer Leiden bemüht, dann versuchen sie es schließlich beim
Wunderheiler. Wenn es Menschen immer weniger möglich ist , über
politische
Alternativen zu entscheiden, weil alle
Parteien sich mehr oder minder dem Neoliberalismus aktiv verschrieben
oder
passiv ergeben haben – warum sollen sie dann noch wählen gehen ? Fehlt
auch
linken Politiker/innen das Wissen darum, in welcher Gesellschaft wir
leben ?
Verfügen sie deshalb nicht über die erforderlichen Begriffe , kommt es
infolge
dessen erst zu einem Realitätsverlust und dann zu anhaltender geistiger
Orientierungslosigkeit ? Und verlieren sie ihre Problemlösungsfähigkeit
, weil
sie zu wenig bereit oder zu wenig in der Lage sind, die Gesellschaft
mit dem Blick
„von unten“ und „von links“ zu sehen ?
Natürlich kann keine linke Kraft heute die Abschaffung des Kapitalismus als politische Tagesaufgabe in Angriff nehmen, aber laut und deutlich schreien, dass „Schwarz“ schwarz und „Weiß“ weiß ist – das kann man schon erwarten. Über den politischen Alltagsaufgaben mit ihren (oft leider nur in Legislaturperioden gedachten) Nahzielen dürfen die Fernziele nicht in Vergessenheit geraten. „Natürlich ist es sehr schwer, sich den Mächtigen nicht zu beugen, und sehr vorteilhaft, die Schwachen zu betrügen.“ Auch in unseren Zeiten „ist Mut nötig,...von so niedrigen Dingen wie dem Essen und Wohnen der Arbeitenden ( ihren Arbeitsbedingungen oder ihrer vergeblichen Arbeitssuche – Hinzufügung : P.K.) zu sprechen.“ /15/ Gesagt werden muss z.B. – auch auf die Gefahr hin, dass uns Linken die Worte schon wie Asche im Mund schmecken : “Die Reduzierung des Lebens auf die Gesetze des Marktes ist das Gegenteil von Freiheit und lässt keinen Raum für Würde, Ehre, Opferbereitschaft, Treue und Nächstenliebe.“ /16/ Könnten Linke z.B. dem Gedanken gesellschaftliche Akzeptanz verschaffen, dass der Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht mit dem Warenmarkt und den Kapitalmärkten auf eine Stufe gestellt werden darf, sondern stets den Vorrang vor diesen hat ? Könnten Linke Antworten auf die Frage finden : Wie nimmt man dem Kapital die Schubkräfte, die Anreize, immer wieder neue Arbeitslosigkeit zu erzeugen? Oder haben wir Angst, mit einer solchen Frage in die Nähe von Terroristen gerückt zu werden ? Könnten Linke – analog zur Umwandlung des Bundesagrarministeriums – dafür sorgen, dass das Ministerium für Arbeit und Sozia-les umgewandelt wird in eine Ministerium für Arbeitsplatzschaffung und –sicherung ? ( Und – nicht ganz zum Thema gehörend - wenn man das erreicht hat, könnten dann Linke das Verteidigungsministerium umstrukturieren in ein Ministerium für Kriegsprävention und außenpolitische Konfliktlösung ? )
Für
Linke muss klar sein, bleiben oder werden : Es geht um zwei konträre
Sichtweisen auf das Ökonomische. Die eine geht von der lebendigen
Arbeit aus
und stellt folgerichtig den Menschen in den Mittelpunkt des
Wirtschaftens,
sieht den Markt als ein politisch zu steuerndes Mittel der
volkswirtschaftlichen Effektivität. Die andere geht von der
vergegenständlich-ten
Arbeit aus und stellt folgerichtig das Kapital in den Mittelpunkt,
sieht im
rein betriebswirtschaftlichen Denken den Drehzapfen der Gesellschaft
und im
Menschen ein Anhängsel, das sich den Erfordernissen gemäß zu fügen,
anzupassen hat.
Entfesselte Marktwirtschaft und Ökonomie der lebendigen Arbeit
verhalten sich
zueinander wie Wasser und Feuer. Eine Politik, die auf Menschenrechte
und
Menschenwürde setzt, könnte eine solche gesellschaftliche Akzeptanz
finden,
dass Neoliberalismus und Massenarbeitslosigkeit wirksam zurückgedrängt,
eingeschränkt, gezähmt werden. Fehlt der Politik allerdings die
Zielperspektive, verkommt sie zum blanken Aktionismus, oft für den
Zweck des
eigenen Machterhalts. Dann dominiert pragmatische Gewurstel und
verloren geht
der beharrliche Einsatz für ein gesellschaftpolitisches Konzept, das
auf den
Interessen der sogenannten „kleinen Leute“ beruht. Nur eine Politik
aber, die
sich wirklich engagiert, um die Entwürdigung der Arbeitslosen zu
mildern und
das Unrecht-Tun der Gesellschaft ihnen gegenüber schrittweise zu
verkleinern
(um es letztlich ganz zu beseitigen) beweist sozialen Sinn. Alles
andere ist
eine Spielart von Asozialität, sowohl z.B.
die nicht gezahlten Steuern der Konzerne als auch z.B. die am Symptom
herumkurierenden
„Lösungs“-Vorschläge.
[ Die
Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert länger als die
Verwandlung des
Menschen durch das Amt. Joseph Fischer, Bü90/Gr , 1999 ]
Deshalb
wird die Diskussion um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um die
historisch
sich wandelnden Instrumente und Mittel solange schief laufen, solange
über
Fehler im System geklagt wird und schon die Frage (!) unterbleibt,
ob nicht das System selbst der Fehler sei. Dem
Papst ist zuzustimmen , wenn er sagt : vollzieht man eine „Analyse der
grundlegenden Wirk-lichkeit im gesamten wirtschaftlichen Prozeß und vor
allem
in der Struktur der Produktion – eben der Arbeit – ist es angebracht
zuzugeben,
daß der Irrtum des primitiven Kapitalismus sich überall dort
wiederholen kann,
wo der Mensch in irgendeiner Weise dem Gesamt der materiellen
Produktionsmittel
gleichgeschaltet und so wie ein Instrument behandelt wird und nicht
entsprechend der wahren Würde seiner Arbeit, das heißt als ihr Subjekt
und
Urheber, und eben dadurch als wahres Ziel des ganzen
Produktionsprozesses.“/17/
Martin
Luther kann dabei die Richtung weisen ! Er meinte ganz am Beginn der
jetzt sich
so extrem vertiefenden Spaltung der Gesellschaft : „ Wer arm sein will,
soll
nicht reich sein. Will er aber reich sein, so greif er mit der Hand an
den
Pflug und such es sich selbst aus der Erde...Es schickt sich nicht, daß
einer
auf die Arbeit eines anderen hin müßig geht und wohllebt , während der
andere
schlecht lebt, wie es jetzt der verehrte Mißbrauch ist.“ / 18/ Unernst formuliert, könnte man fast auf den
Gedanken kommen, Luther habe manchen unserer Zeitgenossen, die nur
noch vom
Spekulieren an der Börse sich ihren, z.T. parasitären Wohlstand
finanzieren,
gekannt. Man könnte auch auf die Idee kommen, nicht nur, aber auch der
„christliche Adel der Gegenwart“ sei zur „Besserung“ aufgefordert.
Ernsthaft
aber ist zu betonen : Die neoliberalistisch geprägte Globalisierung (
gegen die
bei Zugrundelegung einer Ökonomie der lebendigen Arbeit gar nichts
einzuwenden
wäre ) kann und wird nicht der Weg
sein, auf dem eine überlebensfähige, vernünftige Gesellschaft entsteht.
Die Politik ist
deshalb dringend
gefordert, neoliberale Entscheidungsmuster zurückzudrängen, das
Gemeinwohl neu
zu definieren und die Gesellschaft so aus der „babylonischen
Gefangen-schaft“
der angeblichen Sachzwänge zu führen. Linke Politiker dürfen nicht wie
Marionetten arbeiten, an deren Strippen die Mächtigen aus Banken und
Konzernen
ziehen, um das Volk, den großen Lümmel (H. Heine) immer besser und
immer wieder
erneut einzulullen. Beim Befolgen der scheinbar ewigen Axiome des
Neoliberalismus haben sich viele linke Politiker ei-ner Art
„Selbstverzwergung“
unterworfen. Manchem tut nach der jüngsten Bundestagswahl nun das Kreuz
weh.
Das spricht dennoch für sie und ist irgendwie auch hoffnungsvoll. Denn
: Neoliberalismus
ist Sozialdarwinismus und dieser hat
eine Nähe zum Faschismus mit seinen Grundzügen der Intoleranz,
Ausgrenzung und
Ausmerzung. Neo-Liberalismus ist Re-Barbarisierung der Gesellschaft im
Zeitalter des Computers.
Er
ist gekennzeichnet durch die simple und falsche, durch
die Wirklichkeit nicht bestätigte Formel: „Je höher die
Gewinne, desto höher die Investitionen und demzufolge um so mehr
Arbeitsplätze“. Solche und andere falsche Aussagen begünstigen die
erhebliche
Umverteilung von unten nach oben schon deswegen, weil sie den
Widerstand
lähmen, den Widerspruch verhindern, die Wahrheit verhüllen . Denn das
genaue
Gegenteil ist der Fall ! : Je höher die Gewinne , desto geringer der
Beitrag
zum Gemeinwohl. Je weniger Ausbildungs- und Arbeitsplätze durch das
Unternehmen bereit gestellt werden, desto mehr Subventionen kann es dem
Staat
dafür abpressen. Je weniger man investiert, desto besser werden
Umweltauflagen
unterlaufen. Je mehr man die Gewinne verschleiert, klein rechnet und
an Börsen
spekuliert, desto härter kann man den Sozialabbau forcieren und – bei
„Begleitmusik“ durch die Medien - mit der genannten und anderen
falschen
Auffassungen alles in allem die Arbeit
Habenden ebenso ruhig halten wie die Arbeit Suchenden . Neoliberalismus begünstigt so nicht nur die Entwicklung
neuer Formen der Akkumulation von Reichtum (und damit von Armut!),
sondern auch
die Entwicklung neuer Machtzentren und neuer Formen zur Beherrschung
der
Gesellschaft. Neoliberalismus preist
die Freiheit der Ellenbogen, legitimiert sie aus angeblich
unausweichlichen
Globalisierungszwängen, lässt soziale Fähigkeiten der Empathie
verkümmern und
redet eine Krise des Sozialstaates herbei. So wird der Staat den Armen
und
Schwachen genommen und die Reichen okkupieren ihn, um ihre Interessen
an der
Profitmaximierung noch ungehinderter realisieren zu können.
Neoliberalismus
spaltet die Gesellschaft also zweifach, und zwar entlang der
Trennlinien „arm
oder reich“ und „demokratisch oder autoritär“.
Politisch
organisiert und herbeigeredet wird soziale Unsolidarität und fast
grenzenloser
Egoismus, damit sich nachhaltige Solidarität der Schwachen und
Ausgegrenzten
in einer gesellschaftlichen Krise möglichst nicht entwickelt.
Neoliberalismus
treibt die Marktanpassung des einzelnen auf die Spitze. Das
„Persönlichkeitsideal“ des Neoliberalismus ist der Mensch, der den
„Markt“ als
Schicksal , als Lebensinhalt, als Identitätsgrundlage verinnerlicht hat
und der
alle seine Verhältnisse und
Beziehungen an der Meßlatte von Angebot und Nachfrage prüft und regelt.
So
werden aus schöpferischen, rational und emotional geleiteten Menschen
universelle, zynisch-opportunistische Kalkulierende, die
Solidarstrukturen
werden zerstört und die soziale Des-Integration befördert. So macht der
Neoliberalismus letztlich auch die Politik überflüssig, denn an die
Stelle
gemeinwohlorientierter politisch-ethischer Gestaltungskraft rückt die
betriebswirtschaftlich durchdachte Durchsetzung von
Partikularinteressen.
Früher oder später wird dadurch die Bundesrepublik Deutschland von
einem
demokratischen und sozialem Bundesstaat (vgl.Art.20 GG) mit Parteien,
die an
der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (vgl.Art.21 GG),
mit einem
Bundespräsidenten (vgl.Art.54 GG), einem Bundeskanzler und
Bundesministern
(vgl.Art. 63, 65 GG) sowie einem Bundestag (vgl. Art. 38, 42,) zu einer
„Aktiengesellschaft Deutschland“ mit einem Vorstand, einem Vorsitzenden
und
einem Aufsichtsrat. Weggelassen wird so (irgend-)eine politische Idee.
Das
Gemeinwesen löst sich auf und damit auch jede ( noch so verbogene )
Form von
Demokratie. Denn : „Es gibt zwar Politik ohne Demokratie, aber keine
Demokratie
ohne Politik.“ /19/
Diese
Entwicklungstendenz , basierend auf der Ökonomie des totalen , ja
totalitären
Marktes bewirkt weder den Schutz der menschlichen Würde noch die
Entwicklung
sozialer Gerechtigkeit , sie beeinträchtigt nachhaltig das Gemeinwohl
. Sie
ist selbst eine pathologische Form des Sozialverhaltens und unterstützt
die
Herausbildung anderer Krankheitserscheinungen der Gesellschaft.
Diese
Entwicklungstendenz ist , wenn schon nicht zustande gekommen, so doch
ganz
wesentlich begünstigt worden durch die
bisher ergebnislosen Versuche , der Arbeitslosigkeit durch verschiedene
Formen
des Drucks auf die Betroffenen Herr zu werden. Die jetzige
Bundesanstalt
für Arbeit in Nürnberg ist seit der Gründung ihres Vorläufers im Jahre
1927 der
Versuch, Probleme auf einem riesigen und differenzierten Markt mit
Instrumenten
einer riesigen und differenzierten Bürokratie aufzufangen, ja lösen zu
wollen.
Paritätisch sollen darin „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“
Verantwortung
tragen. Die heutige BA basiert auf dem Arbeitsfördergesetz, das am
1.7. 1969
(!) verabschiedet und seitdem mehrfach novelliert wurde. Damals
regierte eine
Große Koalition. Das Gesetz wurde ohne politischen Streit in Kraft
gesetzt, man
hielt die Konjunktur für beherrsch- und beinflussbar. Deshalb hieß es
im §2 des
damaligen Gesetzes: „ Die Maßnahmen nach diesem Gesetz haben
insbesondere dazu
beizutragen, dass weder Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung
noch
ein Mangel an Arbeitskräften eintreten oder fortdauern.“
Liest man das heute
in Ruhe und
vergleicht es mit der Realität, dann könnte man angesichtsvon 4
Millionen Arbeitslosen und dem gewollten Ausbau des Niedriglohnsektors
einen
Lachanfall bekommen, wenn es nicht zum Heulen und Schreien wäre. Eine
Anstalt,
die langfristig für einen durch Vollbeschäftigung gekennzeichneten
Arbeitsmarkt
konzipiert war, soll Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen! Ein
Unding!
Schon
in den 70er Jahren , vor allem mit den beiden Ölkrisen 1973 und 1979 ,
bemerkte
man schrittweise die Unwirksamkeit der BA und konstruierte ein „Bündnis
für
Arbeit“. 1975 gab es in der Bundesrepublik erstmals seit dem
„Wirtschaftswunder“ mehr als eine Million Arbeitslose, das bedeutete
damals
einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von 0,7 % auf 4,7 % innerhalb von
24
Monaten. 1980 waren zwar wieder „nur“ 3,8% Arbeitslosigkeit zu
konstatieren,
aber schon 1983 lag die Quote bei 9,1%. Das waren damals rund 2,2
Millionen
betroffene Frauen und Männer. Einher ging diese Entwicklung damit, dass
immer
wieder „kritisch“ analysiert wurde. Und im Ergebnis der Analyse wurden
mal die
Arbeitslosenbeiträge erhöht, mal die Ansprüche auf das Arbeitslosengeld
verkürzt, mal Zumutbarkeitsklauseln verschärft, mal Berechtigungsgründe
für
Arbeitslosenhilfe eingeschränkt, mal mehrere Maßnahmen miteinander
kombiniert.
Ursachen
gerieten (und geraten !) aber, wenn es immer wieder nur darum geht, das
Lebensniveau der Arbeitslosen zu senken und/oder sie statistisch
„unsichtbar“
zu machen so nicht in den Blick.
Bis
heute sitzen sowohl in der BA als auch im „Bündnis“ Vertreter von
Kapitalisten
und Vertreter von Arbeitern zusammen. Und Politiker tun dabei so, als
ob sie
auf neutrale Weise zwischen Gleichberechtigten moderieren. Und genau
das ist
der Kern der Misere. Es sitzen eben nicht Vertreter von
Gleichberechtigten am Tisch.
Ja,
hier schimmert der „alte“ Klassenkampf durch ! Aber das hat erst einmal
mit
Marx nichts zu tun! Die Existenz von Klassen und deren Kampf ist lange
vor ihm
entdeckt worden. Von seinen unterschiedlichen historischen
Erscheinungsformen
zu Lebzeiten von Karl Marx und in der Gegenwart abgesehen, der zentrale
Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist nach wie vor existent und
wirksam.
Wir können ihn beobachten in den Konflikten um innerbetriebliche
Rationalisierung, in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen,
Arbeitszeit,
Arbeitslohn, im raffinierten Betrug von Kleinaktionären, im Kampf um
mehr
Ausbildungsplätze usw.
Wenn
es also darum geht, grundlegende, allgemeine , wesentliche Probleme der
Gesellschaft zu erklären, dann darf man auf grundlegende, allgemeine ,
wesentliche Ursachenbenennung auch nicht verzichten.
Und
genau darauf kommt es doch an, will man die Hilflosigkeit der BA, die
Ohnmacht
der Politiker verstehen . Sie wollen reale Interessenkonflikte zwischen
unterschiedlich Mächtigen lösen , indem sie versuchen ,
Interessenharmonie
herzustellen und Gleichberechtigung vorzuspiegeln.
Der eine
besitzt aber Maschinen, Rohstoffe etc., mit denen der andere mehr und
größere
Werte schafft, als er selber im Lohn erhält. Die Differenz zwischen
den geschaffenen
Werten und dem erhaltenen Lohn macht letztlich den Gewinn. Der
Besitzende ist
daran interessiert, dass dieser so groß wie möglich ist. Er lebt davon,
er
investiert davon (z.B. in neue Maschinen und / oder Neueinstellungen)
und er
spekuliert davon an Börsen . Derzeit
wird im allgemeinen mehr spekuliert als investiert. Es bringt
nämlich
mehr und schneller noch mehr Geld in die Kasse. Die Steuerersparnis ist
zugleich eine Verweigerung der im Grundgesetz festgehaltenen
Sozialpflicht des
Eigentums. Die Bezüge , Vergütungen, Abfindungen, Tantiemen der
Manager sind
so in den letzten Jahren durchschnittlich um 300 % gestiegen.
Der andere
hingegen verkauft seine Arbeitskraft, erst dadurch ist Gewinnerzielung
überhaupt möglich. Er ist daran interessiert, dass auch sein Lohn
wächst. Er
kauft davon seine Brötchen, bezahlt Miete oder die Rate fürs Häuschen,
sein
Auto, den Urlaub und die Ausbildung der Kinder. Alles wird teurer. Er
braucht
also mehr Geld. Deshalb fordern Gewerkschaften zu Recht 5% und mehr an
Einkommensverbesserungen.
Wer
jetzt denkt: „ Pfui, was für veraltetes Denken ! Marx ist doch tot“ ,
dem sei
gesagt, es ist schon ein interessantes Paradoxon, dass die
wissenschaftlich
begründeten Ansichten von Karl Marx über den Kapitalismus fast 120
Jahre nach
seinem Tod wieder so wahr sind, wie zu
seinen Lebzeiten. Offensichtlich war
der Kapitalismus in der Zwischenzeit vor allem durch die
Arbeiterbewegung und
durch kampfbereite Gewerkschaften , aber nicht zuletzt auch durch die historisch kurze Existenz des Versuchs
einer gesellschaftlichen Alternative gezwungen, sich ein wenig zu
maskieren.
Jetzt kann er wieder ungehindert „zur Sache gehen“. Während z.B. die
Gewinn-
und Vermögenseinkommen zwischen 1998 und 2000 um 21 % gestiegen sind,
wuchsen
die Nettoeinkommen um nur 1%. Die abhängig Beschäftigten haben zwischen
1993
und 2000 6,4 % an Kaufkraft verloren, die Nettogewinne der
Kapitalgesellschaften stiegen im gleichen Zeitraum um 85 %. In den
letzten
Tarifrunden sind die Löhne und Gehäl-ter im Durchschnitt um 3,3 %
gewachsen,
die Einkommen der Spitzenmanager in Deutschland jedoch wuchsen um 64
%. Und
die Arbeitslosigkeit bleibt bei all dem unverändert hoch.
Die
Ursache dafür ist klar und eindeutig : Die Arbeitslosen sind nicht
arbeitslos,
weil die Gesellschaft zu produktiv ist oder sie selbst zu faul sind.
Sie sind
arbeitslos, weil Arbeit kapitalfixiert organisiert wird – also auf
maximalen
Profit orientiert ist. Im Produktionsprozess tritt der Arbeiter als
Eigentümer
und Verkäufer seines Arbeitsvermögens auf; ihm gegenüber steht der
Kapitalist
als Käufer des Arbeitsvermögens und als Eigentümer von
Produktionsmitteln.
Die
Kapital-Logik lautet schlicht und einfach : Nur profitabwerfende
Arbeitsplätze
sind sichere Arbeitsplätze. Linke könnten hier als erste Stufe für
einen
Paradigmenwechsel fragen : Wie hoch muss denn der Profit (also
letztlich die
Kapitalverzinsung) sein, damit Kapitalisten Arbeitsplätze als sicher
einschätzen ? Sind Unternehmer erst dann zufrieden, wenn Löhne und
Steuern bei
Null liegen ? Oder sind die jetzt schon gezahlten Lohnzuschüsse,
Subventionen,
Fördermittel aller Art nur der erste Schritt dazu, dass sie erst
zufrieden
sind, wenn sie daraus alle Löhne und Steuern zahlen können ? Die
Antworten
ergäben eine sehr sinnvolle Diskussion um den am Menschen und am
Gemeinwohl
orientierten Maßstab.
Die
Logik der lebendigen Arbeit ist ebenfalls unkompliziert und klar : Nur
menschenwürdige und gemeinwohlnützige Arbeitsplätze sind
gewinnabwerfende
Arbeitsplätze. Linke könnten diesbezüglich fragen : Wieviel an
Gemeinnützigkeit
und Menschenwürde ist möglich, um zugleich Gewinn zu erzielen ? Die
Antworten
ergäben eine sehr sinnvolle Diskussion über notwendige und mögliche
Gewinnspannen .
Der Widerspruch
zwischen Kapital
und Arbeit, ist deshalb mit einem – wie auch immer gearteten - Bündnis
und mit
einer - wie auch immer konstruierten – Anstalt nicht zu lösen. Er wird
durch
solidarisches Engagement der Arbeitenden für ihre Interessen zu ihren
Gunsten
bewegt. Sonst gewinnen immer die Kapitalvertreter. Die Globalisierung
mit ihrer
„Fusionitis“, den dabei erzielten horrenden Gewinnen und steigenden
Aktienkursen sowie den zugleich (!) damit
„freigesetzten“ Arbeitenden (ob z.B.
Bankangestellter, Schiffsbauer, Tankstellenpächter, Mö-belhersteller ,
Redakteur oder Informatik-Fachmann ) beweisen das national und
international.
Ein
Bündnis für Arbeit ist ein hilfloser Versuch , ein Irrweg. Und zwar
objektiv !
Das sehen selbst Fachleute für Unternehmensführung so. Der ehemalige
Europa-Chef von Mc Kinsey und Mitglied der
Corporate-Governance-Kommission der
Bundesregierung, sagte der Frank-furter Allgemeinen vom 1.3.2002 : Die
geplante
Umstrukturierung der Bundesanstalt „ist ein reines Placebo“, das
Zusammenwirken
von „Gewerkschaften, Arbeitgeber und Vertreter der öffentlichen Hand“
ermögliche keine „effektive Kontrolle der Bundesanstalt“, denn „Jede
dieser
Gruppen hat ganz andere Probleme oben auf ihrer Agenda.“ Bei einer
Befragung
meinten Betriebsräte und Vertrauensleute kürzlich, die Gewerkschaften
gerieten
immer mehr in die Defensive und das Bündnis für Arbeit trage ganz
wesentlich
dazu bei. /20/
In
der Tat ! Ob „konzertierte Aktion“ oder „Bündnis für Arbeit“ oder „Von
Jagoda
über Gerster zu Hartz und zurück“ – das alles ist Schaulaufen ohne
Punktewertung.
Man tut etwas, viele freuen sich, aber ein menschenwürdiges Ergebnis
kommt
nicht zustande. Das Bemühen um einen Ökonomie des Marktes, des Kapitals
ohne
Arbeitslosigkeit ist eine contradictio in adjecto, d.h. das Streben
danach ist
identisch mit dem Bemühen um ein rundes Viereck. Wenn es nicht so ernst
wäre,
weil es das Schicksal von Millionen Müttern, Vätern , geborenen und
(noch)
ungeborenen Kindern zum Negativen, zum Unglücklichsein, zur
Beschädigung ihrer
Würde beeinflußt, dann könnte man flapsig sagen : durch die
Hartz-Kommission zu
einem neoliberalen Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit ? Das hieße , dem
Regen
die Nässe nehmen ! Man kann es natürlich auch so machen, wie der Chef
der
Bundesanstalt für Arbeit, Herr Gerster. Er meinte im Tagesspiegel vom
10.06
2002, seine Anstalt sei in 10 Jahren
überflüssig, denn dann herrsche Vollbeschäftigung ! Warum ? Weil die
Deutschen
schneller sterben als neue Ausländer ins Land kommen und die Politik
das
bißchen übrig gebliebener Sozialstaat nicht mehr über die
Lohnnebenkosten,
sondern über höhere Verbrauchssteuern finanziert. Ist das nicht hübsch
und
einfach, um nicht zu sagen einfältig und blind ?
Aber
ernsthaft ! Arbeitslosigkeit überdauert mit den Bedingungen, die sie
verursachten und verursachen. Es ist nicht Unaufrichtigkeit oder
individuelle
Gier, die zu den Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Zu
Instabilität ,
sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung kommt es, weil die wirtschaftlich
und
politisch Mächtigen immer wieder dafür sorgen, dass sich das Leben der
Gesellschaft um die „Sonne des Profits“ dreht.
Ohne
den Wandel in den sozialen Strukturen seit Marx zu übersehen , das
Grundverhältnis des Kapitalismus ist nicht verschwunden. Nach wie vor
schließt
es die Asymmetrien der Vermögens-, Besitz- und Einkommensverhältnissse
und
damit die Schieflage in der Verteilung von Lebensqualität und
Entwicklungschancen für die Menschen ein. Und die Gegenwart zeigt eher
die
Zunahme der Ungleichheiten und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen.
Solange
Löhne, Gehälter und Steuern betriebswirtschaftlich als
gewinnschmälernde Kosten
gesehen werden, ist keine gesellschaftspolitische Änderung möglich.
Löhne,
Gehälter und Steuern müssen volkswirtschaftlich als Ankurbelung
konsumtiver
Nachfrage und öffentlicher Ausgaben für Gemeinwohl bewertet werden. Das
geht
jedoch nur innerhalb einer Ökonomie der lebendigen Arbeit. Das erstere
basiert
hingegen auf der radikalen Marktökonomie.
Für
Linke kommt es m.E. mithin darauf an, der gegenwärtigen Ausgestaltung
des
Kapitalismus durch eine dauerhafte und überzeugende Kritik die
Legitimation zu
entziehen, denn die Realität des Lebens
belegt jeden Tag aufs Neue zwei seiner Hauptdefizite : Weder entstehen
durch
die sprunghaft gewachsene Profitmaximierung mehr Arbeitsplätze noch
wird das
Ge-meinwohl durch Steuerehrlichkeit der Konzerne gesichert. Die
kapitalistischen Gesellschaf-ten haben keinerlei „Werkzeug“ gefunden,
das Übel
der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Technisch, technologisch,
organisatorisch
hat sich die Arbeitswelt seit Marxens Lebzeiten immens verändert, sie
ist z.T.
gar nicht mehr zu vergleichen. In der Welt der Arbeitslosen herrschen
nach wie
vor Demütigung, Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung, Entwürdigung, für die
Kinder
schlechte Entwicklungschancen – fast alles blieb beim Alten.
Müssen
es Linke nicht als soziale Schande anprangern und heraus schreien ,
dass das
Riesenvermögen der Gesellschaften an Intellekt , Phantasie,
Kreativität,
Verantwortungsbewußtsein fast ausschließlich in der Sphäre des
Ökonomischen
zutage trat und tritt und aus der des Sozialen fast vollständig
eliminiert
wurde ? Oder zählen auch linke Politiker/innen zu jenen Menschen, die
gelegentlich – z.B. bei Wahlen – über eine Wahrheit stolpern, sich aber
schnell
wieder aufrichten und weiter gehen, als sei nichts geschehen ?
Sollte
nun meine Sicht auf den real existierenden Kapitalismus dennoch falsch
sein und
wir demnächst wieder aufgefordert werden , im Bündnis für Arbeit
weiterhin eine
sachgerechte Lösung für Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu sehen, dann
möchte ich
die Vertreter solcher Auffassung bitten : Seid ganz konsequent und
benennt z.B.
einen industriell arbeitenden Schlachthof um in „Bündnis für Steaks.“ Die Rindviecher wissen ja nichts davon.
[ Im
Normalfall rühren
Politiker nicht an Themen, die den Leuten Einsichten oder Einbußen
abverlangen.
Werner B., parteiloser Journalist, Berlin 2002 ]
Generell
muss man in der Politik ja den einfachen Lösungen mißtrauen. Bei kaum
einen
Problem gibt es sie wirklich, auch wenn so mancher Politiker uns das
einreden
will. Beim Thema „Arbeit für alle“ sind Lösungen ohne Zweifel sehr
komplex,
langwierig und schwierig. Das darf aber Linke , ob sie nun Atheisten
oder
Christen sind, nicht abhalten . Es kann
sie nur herausfordern , vor allem zu
einem sachlichen Streit , der Fernziele mit Nahaufgaben verbindet.
Meine Sicht
möchte ich im Folgenden zur Diskussion stellen.
Dabei
möchte ich zunächst frühere Fragen in Aussageform wiederholen. Ja, ein
Wandel
des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens ist (eher früher als später!)
unvermeidbar. Ja, Wirtschaftspolitik darf nicht mehr so verstanden und
betrieben werden , dass für bestimmte Interessen der Wirtschaft Politik
gemacht
wird. Vielmehr muss Politik stärker sichern , dass wirtschaftliches
Handeln
sich an politisch definierten Zielstellungen ausrichtet. Dafür könnte
die im
Grundgesetz festgeschriebene Sozialpflicht des Eigentums für das
Gemeinwohl
durchaus eine wesentliche rechtliche Grundlage sein .
Nicht
der Gewinn ist zu verteufeln ! Er ist legitimes Ziel unternehmerischer
Tätigkeit. Aber Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit und
Nichtwahrnahme der Verantwortung fürs Gemeinwohl – das liegt genau
genommen
weder im Interesse von „Arbeitnehmern“ noch von „Arbeitgebern“. Marktwirtschaft brauchen wir, Politik
muss sie erst wieder sozial machen ! Der Weg in die Marktgesellschaft
, in der nur zählt, was sich rechnet und absolut alles
andere eliminiert wird (egal ob z.B. Jugendklub, Oper , Lehrer oder
Obdachloser) muss abgebrochen werden.
„Die Besinnung auf das Menschenbild und die Grundwerte, auf
denen die
Soziale Marktwirtschaft gründet, ist die unerläßliche Voraussetzung für
eine
nachhaltige Ver-besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage.“ /21/
Linke
unter den Christen und Atheisten sollten endlich aufhören, an die
Selbstregulierungs- und Selbstheilungskräfte des Marktes zu glauben.
Markt
total – das ist vielmehr die Ursache für Fehlentwicklungen auf dem
Arbeitsmarkt, in der Bildung, in der Kunst, im Gesundheits-wesen ...Als
erstes
muss deshalb die Politik die Zügel wieder in die Hand (und also den
Neo-liberalen aus der Hand) nehmen und sozial gestaltend wirken, sonst
ist die
Kapitulation der Politik vor der
Ökonomie des Marktes bald perfekt. Aus dem bisherigen Scheitern von
Maßnahmen
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss die Politik Konsequenzen
ziehen, die
auf die Gesellschaft und ihre Strukturen, statt auf die betroffenen
Individuen
gerichtet sind. Das unterscheidet – ganz nebenbei – Politik von
Psychotherapie.
Deshalb sind Rechtsvorschriften zu überprüfen , unpraktikable
auszusondern und
neue zu erlassen. Zum Beispiel wäre es erforderlich, die
Eigentumsrechte auf
erarbeitetes Eigentum gesetzlich neu zu regeln und „erspekuiertes“
Eigentum
stärkstens zu besteuern. Es kann hier nicht der ganze Kanon einer
Rechtsordnung für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit entwickelt
werden. Die
Grundlage für die Forderung zu radikalen Entlüftung und zum
entschlossenen
Umbau des Rechts liegt in dem Hinweis von Rousseau , dass es die
Freiheit ist,
die zwischen dem Starken und dem Schwachen unterdrückend wirkt und es
das
Gesetz ist, dass die Beziehungen zwischen beiden befreit. Klar ist
m.E.
ebenfalls : „Diese rechtliche Ordnung
hat eine doppelte Aufgabe. Sie muß einerseits das Wohlverhalten der
einzelnen
wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen sicherstellen, indem sie
ihnen
sagt, was sie zu tun und zu lassen haben, um ihrer Verant-wortung für
das Ganze
gerecht zu werden; andererseits muß sie aber auch selber
verantwortungsbewußt
sich des Wohlergehens eben dieser Menschen und Menschengruppen
annehmen, indem
sie für eine solche Gestaltung und einen solchen Ablauf der Wirtschaft
sorgt,
daß alle zu ihrem Recht kommen. Dazu gehört wiederum zweierlei. Einmal,
daß
alle vom Ertrag der Wirtschaft den Anteil erhalten, der ihnen
gestattet, bei
sich und ihren Familien Bedarf und Deckung dauerhaft in Einklang zu
bringen,
zum anderen Male, daß auch der Vollzug der Wirtschaft so gestaltet
wird, daß
nicht allein die Menschenwürde aller daran Beteiligten, sowohl der
selbständig
als auch der unselbständig Erwerbstätigen, gewahrt wird, sondern auch
für alle
die Voraussetzungen gegeben sind, um durch ihre Tätigkeit im Raume der
Wirtschaft ihrem Leben einen erfüllten Sinn zu geben...“/22/ Rechtliche Regelungen müssen der
Sozialpflichtigkeit des Eigentums dienen. Der Gesetzgeber kann und
muss
sichern, dass das Eigentum an Produktionsmitteln in der
arbeitsbezogenen,
produktiven Sphäre ebenso wie in der Sphäre volkswirtschaftlich und
gesellschaftspolitisch notwendiger Dienstleistungen tätig wird und
nicht mehr
in Bereichen der leistungslosen, spekulativen Vermögensvermehrung.
Politische
Bejahung der Marktwirtschaft kann für Linke auf keinen Fall
bedeuten, alles unkritisch gut zu heißen, was existiert oder mit
dem Wort „Sachzwang“ betitelt wird. Bejahung einer sozialen
Marktwirtschaft
schließt ein, bösartige Wucherungen eben „Krebsgeschwür“ zu nennen und
nach der
Diagnose politische Schritte zu gehen, die als „Therapie“
wirken.
Der
Ökonomie des Marktes ist langfristiges und uneigennütziges Denken und
Handeln
fremd. Für eine wirkliche Eindämmung der Arbeitslosigkeit, für eine
Vollbeschäftigung bei verkürzter Arbeitszeit müssen wir deshalb u.a.
weg von
der Vergötzung des Marktes und „zurück“ zu den Zielen des
Grundgesetzes, das
eben nicht schrankenlosen Egoismus und eine raffgierige Konsum- und
Börsen-Gesellschaft will und infolgedessen
dem Eigentum zugleich eine Gemeinwohlverpflichtung auferlegt .
Natürlich, die
wirtschaftlich Mächtigen denken im Traum nicht an Vollbeschäftigung
oder eine
Ökonomie der lebendigen Arbeit. Aber warum sollen dann Linke
akzeptieren, dass
zwar der ungehemmte Wettbewerb fast zu einem Menschenrecht (v)erklärt
wird, aber
ein schon völkerrechtlich definiertes Recht auf Arbeit nicht in die
Verfassung
aufgenommen wird und alle dahin gehenden Versuche politisch,
ideologisch und
formalrechtlich erstickt werden ?
Nichts
ist von Linken unter Atheisten und Christen gegen die Wirtschaft oder
die
Wirtschaft-lichkeit zu sagen, aber es gilt - wenn wir eine engere
Verbindung
zwischen ökonomischer Stärke des Landes und weniger Arbeitslosigkeit,
zwischen
stabiler Finanzierung des Gemeinwohls und der Würde des Menschen in
der und
durch die Arbeit haben wollen : Die
lebendige Arbeit ist die Quelle des Reichtums der Gesellschaft. In
betriebswirtschaftlicher Verengung gerät diese Tatsache nicht in den
Blick und
deshalb ist aus diesem Blickwinkel das Kapital die Quelle individuellen
Reichtums.
Linke Politik könnte
deshalb dem
Motto folgen :
Nur mit einer
Ökonomie der lebendigen Arbeit erreichen wir die Zukunft
,
nur mit strikter
Wahrung des Gemeinwohls ertragen wir sie
!
Wer
das als aus dem Reich der Phantasien und Luftschlösser stammend
bewertet, dem
sei gesagt, dass er den sozialen Frieden aufs Spiel setzt. Vielmehr
bewegen
wir uns mit diesem – zugegebenermaßen verkürzten - Slogan auf ein
höheres Maß
an gesellschaftlicher Vertrauenswürdigkeit und politischer
Aufrichtigkeit zu.
Ein
Zurückdrängen der aggressiven Selbstsucht von einigen wenigen
zig-Tausenden in
der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit ist eine ganz wesentliche
Voraussetzung dafür, dass Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden und
Arbeit
für alle geschaffen werden kann. Die Zeit ist reif für einschneidende
Veränderungen ! Die neoliberale Ordnung ist ein Menschheitsuntergangs-
system.
Wer es gut mit dem Menschen meint, muß sie radikal in Frage stellen.
Wir
brauchen auf politisch-praktischem und wirtschaftlich-ethischem Gebiet
eine
radikale Überwindung der Irrwege des entfesselten Kapitalismus.
Notwendig ist
ein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel, dessen wesentliche
„Änderungen
auf der Linie einer entschiedenen Überzeugung vom Primat der Person
über die
Sache, der menschlichen Arbeit über das Kapital“/23/ liegen .
Wie
könnte eine Ökonomie der lebendigen Arbeit aussehen, in der die Würde
des
einzelnen einher geht mit der Stärkung des Gemeinwohls ?
„Auch
in Zukunft wird die Gesellschaft dadurch geprägt sein, daß die
Erwerbsarbeit
für die meisten Menschen den bei weitem wichtigsten Zugang zu eigener
Lebensvorsorge und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben schafft. In
einer
solchen Gesellschaft wird der Anspruch der Menschen auf Lebens-,
Entfaltungs-
und Beteiligungschancen zu einem Menschenrecht auf Arbeit.“ Die
Verantwortlichen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt, Tarif- und
Sozialpolitik
sind verpflichtet, „größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die
Beteiligung an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten...“/24/. Wenn es
darum geht,
gesellschaftliche Irrwege abzubrechen, den sozialen Frieden neu zu
gründen und
stabil zu sichern – und um nichts anderes geht es letztlich bei unserem
Thema -
, wenn es also darum geht, „das menschliche Leben menschlicher zu
machen, dann
bekommt gerade dieser Schlüssel, die menschliche Arbeit, eine
grundlegende und
entscheidende Bedeutung.“/ 25/
Die
Menschenwürde verlangt, dass „der arbeitende Mensch“ nicht mehr
„Wirtschaftsuntertan“ sei, sondern „daß er zum Wirtschaftsbürger“
werden muß
/26/. Eine Ökonomie der lebendigen
Arbeit geht aus von einem Menschen , der nicht Diener, Lakai, Knecht
irgendwelcher fremder Interessen ist, sondern gleichberechtigtes
Gemeindemitglied, Mitmensch, Citoyen im Sinne der Französischen
Revolution. Von
Immanuel Kant ist uns der Gedanke überliefert, dass die Würde des
Menschen mit
seiner Autonomie, seiner Selbstbestimmung verbunden ist. In einer
Ökonomie der
lebendigen Arbeit spielt die ethische Bedeutung der Arbeit eine
unersetzbare
Rolle. „Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen – für sein Mensch-sein
-, weil
er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen
Bedürfnissen
anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ‚mehr Mensch wird‘.“/27/
Unabdingbare Voraussetzung für seine Selbstbestimmung in der Gegenwart
ist,
dass der Mensch von bezahlter Arbeit leben kann. In einer wirklich
sozialen
Marktwirtschaft wird das nicht nur die wertschaffende Arbeit sein. Es
werden
sich durch eine Ökonomie der lebendigen Arbeit viel reichhaltigere und
ganz
andere Formen der Arbeit entwickeln, bei denen sich die handelnden
Individuen
in ihrer Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung wiedererkennen,
z.B. weil
sie Verantwortungsvolles tun für die Gemeinschaft ist. Öffentlich
geförderte
Beschäftigung (ÖBS) und Gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte
(GAP) könnten sich eines Tages als erste
schüchterne und unvollkommene, aber zugleich auch sehr ernsthafte
Versuche
herausstellen, in einem Bundesland Vorformen und Spurenelemente einer
Ökonomie
der lebendigen Arbeit zu schaffen.
[ Die
Gesellschaft findet nun einmal nicht ihr Gleichgewicht, bis sie sich um
die
Sonne der Arbeit dreht. Karl Marx, Ökonom und Philosoph, London 1867 ]
1)
Von einem Paradigmen – Wechsel, wonach Wirtschaftspolitik künftig nicht
so zu
verstehen und zu betreiben ist , dass für bestimmte
Wirtschaftsinteressen
Politik gemacht wird, sondern so, dass sich wirtschaftliches Handeln
an politisch
definierten Zielstellungen ausrichten muss , war schon die Rede. Ohne
dass eine
zentralistische Staatsbürokratie in Gang gesetzt wird, muß es in
politischer
Auseinandersetzung erreicht werden, dass letztlich nicht mehr das
Kapital und
seine Selbstverwertung Ausgangs- und Endpunkt, treibendes Motiv und
letzter
Zweck der Produktion ist, sondern der Mensch und die Mittel für den
Lebensprozeß der Gesellschaft. Zuerst ist diesbezüglich zu verhindern
, dass
die Unternehmer jedes Jahr von der Bundesregierung de facto vor die
Frage
gestellt werden: Wollen wir etwa die Hälfte unserer Profite ersatzlos
an den
lieben Staat abführen oder wollen wir lieber die ganze Knete für uns
behalten ?
Jeder weiß, wie sie sich entscheiden ! Alles behalten, viel spekulativ
anlegen,
rationalisieren, entlassen – und dann nach neuen Subventionen für die
Bereitstellung neuer Arbeitsplätze rufen. „Das bisweilen scheue Reh
zur Krippe
führen, dem Ungeheuer Beute versprechen, kurz : das
Gewinnstreben hofieren – wer sich darauf beschränkt begibt
sich in eine selbst verschuldete Abhängigkeit von äußeren Umständen,
die er
nicht kontrollieren kann. Nur den Boden zu bereiten und auf den eigenen
kreativen Auftritt ganz und gar zu verzichten, reicht nicht. Schon gar
nicht
für einen SPD-Politiker in einem Land, das sich zwar von
Solidarprinzipien
entfernt, aber sie nicht in Gänze aufgeben will und das im Interesse
gesellschaftlicher Stabilität auch gar nicht kann.“ /28/ Ein finanz-
und
rechtspolitisch handlungsfähiger Staat muss statt dem unbegrenzten
Gewinnstreben zu huldigen, die Dienstleistungen schützen und stützen,
die zwar
betriebswirtschaftlich nicht marktfähig, aber volkswirtschaftlich
unumgänglich
notwendig sind. Es geht um nicht mehr als um die Wiedergewinnung der
politischen
Steuerung der Wirtschaft. Aber auch nicht um weniger !
2)
Durch politische Entscheidungen ist die Entwicklung zu beenden, dass
auf der
einen Seite die Arbeitsproduktivität, die Gewinne und die Aktienkurse
steigen
und auf der anderen Seite die Verschuldungs- und Verarmungstendenz zu-
und die
Arbeitslosigkeit nicht entscheidend abnimmt. Wenn Politik das dennoch
weiterhin
zuläßt, dann verhält sie sich letztendlich wie die Ärzte im
Mittelalter, die
den schwindsüchtigen Patienten erst durch fortgesetztes Schröpfen
ausbluteten
und danach in den Akten traurig und erstaunt registrierten, der Patient
sei
leider und völlig überraschend gestorben. Nur wenn wir uns
(weiterhin?) wie
mittelalterliche Wunderärzte verhalten wollen, müssen wir weiterhin
zulassen ,
dass es unverschämten Reichtum und verschämte Armut gibt , dass mit
dem
Wachstum des Privatvermögens zunehmender politischer Einfluss
verbunden wird
und so demokratische Institutionen ausgehebelt werden. Denn bei diesen
Ärzten
erlaubte bekanntlich nicht einmal der Tod des Patienten einen Zweifel
an der
Richtigkeit ihrer Diagnose und Therapie.
3)
Wer das nicht will, wem es um die schrittweise Entwicklung einer
Ökonomie der
lebendigen Arbeit und also um die wirk- liche Zurückdrängung von
Arbeitslosigkeit geht, der wird nicht umhin kommen , ganz nachdrücklich
vermeintliche (und tat- sächliche !)
Sachzwänge zu hinterfragen, weil sie menschlichen Ansprüchen
widersprechen. Ihre Anerkennung bedeutet nämlich die freiwillige
Unterwerfung
der Politiker/innen unter sozial blinde Mächte der Finanzlogik und ist
Verrat
an der Ver- antwortlichkeit des Politikers .Sowohl für
Kriminalpolizisten als
auch für Politiker/innen muss die alte Frage „Cui bono?“ erkenntnis-
und
entscheidungsleitend sein. Denn damit entdeckt man die hinter
„Sachzwängen“
stehenden Interessenkon- stellationen . So kommen Alternativen in den
Blick,
z.B. Finanzspielräume umzuverteilen, juristische Vorfestlegungen in
Frage zu
stellen und zu ändern, ideologische und traditio-nelle Blockaden zu
erkennen
und zu beseitigen. Wenn sie ernsthaft eine Öko- nomie der lebendigen
Arbeit
wollen, dann müssen Linke unter Atheisten und Christen – auch und nicht
zu-letzt ! – dafür sorgen, dass die Argumente der Kapitallogik a priori
als
verdächtig, weil men-schen(rechts)feindlich erkannt und bewertet werden.
Ohne behaupten zu wollen,
es gäbe
eine Art „Königsweg“ für die Vermenschlichung des gesellschaftlichen
Zusammenlebens, kluge, realisierbare Vorschläge gibt es schon ! Das
Kämpfen
der Linken um eine alternative gesellschaftliche Entwicklung könnte
z.B.
beinhalten: „Aufgabe einer zurückhaltenden Lohnpolitik und die Stärkung
der
Arbeitseinkommen; Heranziehen der Kapital- und Vermögenseinkommen zur
Finanzierung
des Systems sozialer Si-cherheit (Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit)
und der
öffentlichen Angelegenheiten. Ausbau der innerbetrieblichen Rechte in
Richtung
einer wirksamen Unternehmens- verfassung mit anerkannnten
Beteiligungsrechten
der Beschäftigten und der Gewerkschaften. Gesellschaftliche Steuerung
und
Kontrolle der gesamten Wertschöpfung über die Investitionsbewegung;
Reorganisation von gesellschaftlichen Bereichen wie Wohnen, Bildung,
Gesundheit und Kultur – auch nach genossenschaftlichen und
gemeinwirtschaftlichen
Grundsätzen.“/29/
4)
Auch wenn’s ein wenig theatralisch klingt, es ist ein unumgängliches
Erfordernis, sozusagen der richtige erste Schritt in die richtige
Richtung,
dem weitere Schritte folgen können und müssen : Retten
wir das Gemeinwohl als konstitutives Element der
Bundesrepublik ! Und damit ist mehr gemeint als das sicher oft sehr
verdienstvolle Engagement vieler Firmen für wohltätige Zwecke.
Gemeinwohl im
21. Jahrhundert zu sichern, dass geht über betriebswirtschaftliches
Sponsoring
für eine gute Sache hinaus. Gemeint ist die radikale Korrektur der
gegenwärtigen Schieflage ,die im Hinblick auf das Thema „Gemeinwohl“
insbesondere darin besteht, dass die Körperschaftssteuer (d.h. die
Einkommenssteuer von GmbH und AG ) 2002 runde 2,5 % zum Aufkommen an Gemeinschaftssteuern von Bund, Ländern
und Gemeinden beiträgt, aber genau diese Unternehmen mit fast 90% die
Nutznießer von Wirtschaftsfördergeldern des Bundes und der Länder
sind. Die Sozialpflicht
des Eigentums darf nicht auf eine Sponsoring nach Lust oder Laune des
Unternehmens eingedampft werden. /30/ . Rettung
des Gemeinwohls oder Versinken in der Barbarei – das ist die
Alternative, deren
Beginn wir schon hinter uns haben. Gemeinwohl sichern statt Barbarei
weiter
dulden – das ist die Aufgabe. Den Bau einer Gesellschaft anvisieren, in
der
alle Menschen (und auch die Natur !) ihren Platz haben anstatt
menschliche
Rohheit und gesellschaftliche Unkultur weiter steigern – das ist der
Auftrag an
die Politik.
5)
Wirtschaftliche Freiheit darf künftig nicht mehr die Minimierung ( oder
gar
Eliminierung ) von Begrenzungen und die Maximierung ( oder gar
Verabsolutierung
) von Freiräumen bein-halten, sondern die Gewährung individueller
Selbstbestimmung ( Rechte / Erlaubnisse ) in
Korrelation mit gemeinwohlorientierter Selbstbegrenzung ( Pflichten
/
Verbote) .Es geht bei wirtschaftlicher Freiheit also nicht um absolute
Ungebundenheit ( das wäre Anarchie ), sondern um ein Sich-Selbst-Geben
von
Normen, Regeln und Gesetzen, in deren Mittelpunkt zwangsläufig nicht
partikulare Interessen stehen können, sondern die Gemeinschafts- und
Gemeinwohlinteressen stehen müssen.
Die schon an anderer Stelle genannte Veränderung der
Rechtsordnung muss z.B. gar nicht in irgendeiner Weise explizit
„sozialistisch“ sein, sie muss im Grunde genommen „nur“ das seit der
Französischen Revolution übliche Verständnis des Eigentums wieder zur
Alltagspraxis des Rechts, der Gesetzgebung machen. Im Code Napoleon (
der
wesentlichen Grundlage aller seither erschienenen Gesetzbücher, heißt
es im
Artikel 544: „Das Eigentum ist das vollkommen absolute Recht, Sachen zu
nutzen
und über sie zu verfügen, unter dem
Vorbehalt, das man nicht einen Gebrauch davon macht, der durch Gesetze
und
Verordnungen verboten ist.“ /31/(Hervorhebung: P.K.)
6)
Eine an der Gemeinwohlverpflichtung des Grundgesetzes orientierte
Steuerpolitik
braucht mindestens einen Zuwachs an Steuergerechtigkeit durch eine
effektive
Entlastung von Steuern im unteren Arbeitseinkommensbereich und die
(schon von
Schröder versprochene, aber nicht realisierte!) Wiedereinführung einer
Vermögenssteuer (würde jährlich rund 7,5 bis 9 Milliarden Euro
bringen).
Weiterhin ist eine Börsenumsatzsteuer erforderlich, wir brauchen
Rechtsvorschriften für eine Besteuerung von Gewinnen durch Spekulation
und wir
brauchen die Rücknahme der Steuerbefreiung bei Veräußerungsgewinnen von
Aktiengesellschaften (würde jährlich rund 3 Milliarden Euro bringen)
ebenso wie
eine reformierte Erbschaftssteuer (würde jährlich rund 7,5 bis 10
Milliarden
Euro bringen). Schon dadurch hat der Staat Mittel zur Verfügung, um
Rahmenbedingungen für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit finanzieren
zu
können.
7) Um
sofort mit ersten finanzpolitischen und juristischen Schritten zur
Inangriffnahme einer Ökonomie der lebendigen Arbeit, d.h., zur
endgültigen
Vermeidung von stets entwürdigender Arbeitslosigkeit, beginnen zu
können, wäre
es noch im Jahre 2002 möglich, Rückflüsse aus der Europäischen Union zu
nutzen
(ca.2,3 Milliarden Euro ), nicht verbrauchte Investmittel der Bahn zu
verwenden
(ca.400 Millionen Euro), Mittel aus der EU-Förderung der Grenzregionen
zu
verwenden (ca. 10 Millionen Euro ), die bei etwa einer halben Million
Arbeitslosen eingesparten Lohnersatzleistungen der Bundesanstalt für
Arbeit zu
nutzen (ca. 2,5 Milliarden Euro ) sowie einen Teil der für die
Währungsstabilität nicht mehr benötigten Goldreserven der Deutschen
Bundesbank
zu nutzen (ca. 36 Milliarden Euro
)./32/
8)
Das alles sind zugleich Schritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit.
Soziale
Gerechtigkeit muss in der kommenden Gesellschaft, basierend auf einer
Ökonomie
der lebendigen Arbeit, den gleichen
Stellenwert haben wie Wahrheit in Gedankensystemen. Das heißt , eine
Gesellschaft muss und wird – bei Strafe ihres Untergangs -
geändert werden, wenn sie nicht ( oder nicht
mehr) dem Anspruch der Gerechtigkeit entspricht.
Wahrheit
und Gerechtigkeit dulden keine faulen Kompromisse.
Hauptgegenstand der sozialen
Gerechtigkeit ist die
Grundstruktur der Gesellschaft. Und zwar, weil ihre Wirkungen – für den
einzelnen - tiefgreifend und von Anfang an vorhanden sind. Soziale
Gerechtigkeit ist immer mit Situationen sozialer Ungleichheit – vom
einzelnen
erst einmal vorgefunden und insofern objektiv - verbunden, mit
Zuständen also,
in denen verfüg-bare Güter und Lebenschancen ungleich verteilt sind.
Soziale
Gerechtigkeit hat deshalb überhaupt nichts mit Gleichmacherei zu tun .
Soziale
Gerechtigkeit stellt sich vielmehr aus der Begründung und Akzeptanz oder der Beseitigung von Ungleichheiten
her. Letztere sind z.B. dann durchaus erträglich, wenn sie von
niemandem
ausgenutzt werden können, um die Chancen anderer zu vernichten. Ja,
genau
genommen sind dann Ungleichheiten sogar ein Anreiz für den einzelnen.
Soll die
soziale Ungleichheit jedoch nicht – wie es z.B. in der
Massenarbeitslosigkeit
der Fall ist !- in Unfreiheit, und
Ausgrenzung umschlagen , dann ist ein ständiger innergesellschaftlicher
Diskurs
um die Minimalbedingungen für den Schutz der menschlichen Würde und die
Sicherung des Gemeinwohls erforderlich. Wenn der nicht von den Linken
initiiert
wird, dann findet er garantiert nicht statt.
In
erster Annäherung kann man deshalb ein Handeln von Politikern,
Parteien,
Regierungen sozial gerecht nennen, das
zuerst Interessenkonflikte ehrlich, realistisch, korrekt benennt und
dann – was
noch viel schwieriger ist – darauf sieht, um welche Interessen es sich
handelt
und nicht , um wessen Interessen. Und genau das war eben bei den
bisherigen,
erfolglosen Versuchen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht der
Fall !
Das
massenhafte Erleben sozialer Ungerechtigkeiten schlägt derzeit (noch!)
nicht in
Widerstand und sozialen Protest um, sondern („nur“) in wachsende
Distanzierung
vom Politik- und Parteiensystem. Das muss nicht so bleiben und rechte
Nutznießer
sind schon existent. Deshalb: Interessenkonflikte unbeschönigt
und unverzerrt benennen und auf dieser Grundlage
sachlich und ausgewogen politisch entscheiden, dass Ungleichheiten
begründet
und akzeptiert oder aber beseitigt
werden - das könnte bei der Zurückdrängung von Arbeitslosigkeit sehr
hilfreich
sein .Erst dann wird die Arbeitsmarktpolitik aufhören, das schmückende
Alibi-Fähnchen an der Kanone des Panzerkreuzers „Wirtschaft“ zu sein.
9)
Notwendig ist eine Stärkung der Binnennachfrage, denn sie schafft
Arbeitsplätze. Nur damit ist letztlich Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Alles
andere ist – wie schon gesagt- ein (mehr oder minder) kluges Verwalten
der
Arbeitslosigkeit, aber keine Lösung. Ankurblung der Binnennachfrage
schließt
Erweiterung der öffentlichen Investitionen für die Infrastruktur der
Kommunen
und den besseren Schutz der Umwelt ein.
10)
Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand und die
Handwerksbetriebe, denn sie schaffen die meisten Arbeits- und
Ausbildungsplätze. Zu solchen Rahmenbedingungen zählen u.a. rechtliche
Regelungen zum Schutz vor schlechter Zahlungsmoral (auch öffentlicher
Auftraggeber!!), niedrige Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive
Handwerkerarbeiten, Steuerregelungen für Existenzgründer, die das
junge
Unternehmen stabilisieren.
11)
Unverzichtbar für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit ist ein solcher
Abbau der
Überstunden, der neue Arbeitsplätze schafft. Das geht zweifelsohne
einher mit
einer Arbeitszeitverkürzung, bei der jedoch nicht von vornherein auf
Lohnausgleich verzichtet werden darf. Lohnverzicht der abhängig
Beschäftigten
wäre allenfalls denkbar, wenn die Unternehmen auf den Profit verzichten
und nur
noch Kostendeckung fordern, wenn die Großaktionäre sich mit ihrem
Wertbesitz
begnügen und auf Divi- dende verzichten, wenn die Banken nicht
leichtsinnig,
aber großzügig Kredite geben und auf Zinsen über 1,5 %
verzichten. Ist das nicht realisierbar,
dann wird Lohnzurückhaltung ebenso wie die Ausdehnung eines
Niedriglohnsektors – wie
bisher - nur dazu führen, die „da oben“ reicher zu machen, das
Gemeinwohl zu
schwä-chen und den gesellschaftspolitischen Niedergang zu beschleunigen.
12)
Die Politik hat im Verein mit der Wirtschaft und begleitet von den
Medien auf
die Entwicklung einer Ökonomie der lebendigen Arbeit, d.h. auf die
tatsächliche Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit einen nachhaltigen und
konkreten Einfluss.
Allgemein ist
er daran meßbar, ob die Politiker, die Wirtschaftsführer , die
Medienmächtigen
mit ihren Entscheidungen Selbstbestimmung oder
Ohnmacht der Menschen, ihre Teilhabe am oder
Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Reichtum (und das nicht nur in einem
vordergrün-dig materiellen Sinne), Mündigkeit oder
Einflusslosigkeit stärken. Konkret heißt das z.B. ,
die Einwirkung von Politikern,
Wirtschaftsführern und Medienmächtigen zeigt sich daran, ob sie eine
öffentliche Problemdebatte und –analyse auslösen, zulassen oder
ob sie sie durch Werbung
und „Blasenquatschen“ verhindern, vertreiben.
Im Detail ist der
Einfluss in dreifacher Weise ablesbar. Zum einen am Grad der
ganzheitlichen
Realisierung der Menschen- rechte, also der individuellen
Freiheitsrechte
, der
politischen Mitwirkungsrechte sowie der wirtschaftlich-sozialen und
kul- turellen
Grundrechte .Zum anderen am Ausmaß, mit dem die Wirtschaft als
Selbstzweck oder als Mittel für gesellschaftliche
Zwecke politisch geleitet wird ; sozusagen am Umfang , mit dem der
Neoliberalismus geför-dert oder in
soziale Bahnen gedrängt wird (was gleichbedeutend mit der Frage danach
ist,
welche Ökonomie dominiert, die der lebendigen Arbeit oder
die des totalen Marktes ) und schließlich in der Art und Weise
wie die Gewaltenteilung im Alltag funktioniert oder
aufgehoben wird und die Medien demokratische Kontrolle der
Macht oder das Gegenteil davon betreiben.
5.
Memento
[ Ich kann nicht
sagen, ob es besser wird, wenn es anders
wird; aber soviel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut
werden
soll.
Die
heute schon erkennbare, früher als gedacht noch schärfer sichtbar
werdende
Alternative bei der Lösung des gesellschaftspolitischen Skandals der
Massenarbeitslosigkeit lautet m.E. : Entweder wir schaffen es, durch
die
schrittweise, aber auch energische Umstrukturierung unserer Wirtschaft
hin zu
einer Ökonomie der lebendigen Arbeit eine neue, sozial gerechte,
le-benswerte
und zukunftsfähige Gesellschaft allmählich und zugleich zielklar auf
den Weg zu
bringen oder wir schauen der Zerstörung der Natur und der sozialen
Polarisierung
und Ausgrenzung mit ihrem shareholder value (dem neuen Wort für die
alte
Profitgier) , mit ihren faschistoiden Wucherungen weiter zu, jeder
karrieristisch-egoistisch damit beschäftigt, ja nicht selbst zu den
Verlierern
auf der Achterbahn des totalen Marktes zu gehören. “Damit aber ist die
große
vor uns liegende politische Auseinandersetzung im Kern eine kulturelle,
bei der
es darum geht, die Menschlichkeit gegen die drohende Barbarei eines
entfesselten Kapitalismus und einer die Grenzen des Humanen sprengenden
Wissenschaft und Technik zu behaupten.“ /33/
Sind
damit verbundene Forderungen nun rückwärtsgewandte Träume oder kann man
mit
einer gewissen Berechtigung fordern, das eigene Handeln von solch einer
Alternative leiten zu lassen ? Ich
glaube ja. Und zwar aus drei Gründen :
Zum
einen : Es fehlt nicht an Kapital, nicht an Menschen, nicht an
Rohstoffen,
nicht an Technologien, nicht an Visionen. Noch fehlt „nur“ der
politische
Wille zum entschlossenen Handeln.
Zum
anderen : Linke unter den Christen und Atheisten müssen doch von
Politikern
„nur“ fordern, dass sie beim Lösen eines wesentlichen Problems vieler
Menschen, vieler Familien in der Gesellschaft ebenso klug und engagiert
handeln, wie beim Kampf um die Macht oder besser: Noch klüger !
Und
schließlich : Wir sollten uns in unsere eigenen Angelegenheiten immer
wieder
einmischen und uns „nur“ nicht gefallen lassen, was uns nicht gefällt.
Dreimal
das Wörtchen „nur“ – ist das eine Überlegung wert oder begründet es
Resignation
?
Neues
ist, eben weil es neu ist, ungewohnt, d.h. nicht in Denk- oder
Verhaltensgewohnheiten verfestigt. Neues widerspricht stets der
herrschenden
Denkweise und wird als Anomalie, seine Anhänger nicht selten als arme
Irre
bewertet. Das war beim Weltbild des Kopernikus ebenso wie beim
Atommodell von
Rutherford. Das war so bei der
Einführung der fordistisch -tay- loristischen Produktionsweise und es
ist
so beim
Denkimpuls für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit.
Letztlich gilt, wer
keine Kraft
zum Träumen hat, der hat auch keine zum Kämpfen. Linke unter den
Christen und
den Atheisten brauchen immer mal wieder Selbstermutigung über den Tag,
die
Legislaturperiode, die eigene Arbeitsaufgabe hinaus. Damit neue
Möglichkeiten
entstehen, muss immer wieder scheinbar Unmögliches in Angriff genommen
werden.
Gibt
es diese Kraft nicht, dann – das ist meine ernste und tiefe Sorge –
werden die
neoliberalen Schläge, die derzeit ‘nur‘
eine ‘Minderheit‘ von 4
Millionen Arbeitslosen treffen, sich in nicht allzu ferner Zeit gegen
die ganze
bundesdeutsche Gesellschaft richten.
Es
ist nicht auszuschließen, dass die heute ausgegrenzten Minderheiten die
Mehrheiten der nächsten Generation sind. Die
Anzeichen sind da. Stichworte müssen genügen : Aushöhlung der
Bürgerrechte nach
dem Terroranschlag vom 11.9. 2001; Rentenprivatisierung ; Bundeswehr im
Krieg ;
Kollaps des Gesundheitssystems ; Planungen für den Bundeswehreinsatz im
Inneren, d.h. Militarisierung der inneren Sicherheit ;
Hormonkriminalität und
Lebensmittelskandale ; Schwarzarbeit mit einem Volumen von 350,4 Mrd.
Euro im
Jahre 2002; Geheimdienste mit polizeilichen Befug-nissen ;
PISA-Ergebnisse ;
Stadtumbau, d.h. Wohnungsabriß Ost ; Ersparnis - Abzocke bei Millionen
Telekom-Kleinaktionären synchron mit massiven Zuschlag für
Millionengehälter
des Vorstands ; der Berliner Banken-Skandal als neue Melodie zum alten
Text :
“Wärst Du nicht arm, wär ich nicht reich!“ ; die „innere Kündigung“ und
Fluchtbewegung der Jugend im Osten, die finanzielle Strangulierung der
Kom- munen....
Natürlich
weiß ich wie jeder Leser, dass hier verschiedene einzelne Sachverhalte
scheinbar willkürlich aufgezählt sind. Aber haben sie nicht alle eine
allgemeine Ursache, die auch beim Thema „Arbeitslosigkeit“ sichtbar
wurde ?
Brauchen Linke nicht auch wieder mehr Mut zu einer realistischen Art
von
„Fundamentalismus“, anstatt zu häufig
nur über Maßnahmen und –„nähmchen“, über Reparaturen und –„türchen“
nachzudenken. Nur Leute, die der menschenverachtenden Arbeitslosigkeit
richtig
ablehnend gegenüber stehen, werden Entscheidungen und Methoden für eine
Ökonomie der lebendigen Arbeit aufrichtig zustimmen und schrittweise
in die
Wege leiten können.
“Indem der
Marxismus überhaupt nichts
anderes ist als der Kampf gegen die kapitalistisch kulminierende
Entmenschlichung...ergibt sich, dass echter Marxismus seinem
...Zielinhalt nach
nichts anderes ist, sein kann, sein wird als Beförderung der
Menschlichkeit .“
Ernst Bloch 1968
/1/ J. Strasser : Leben oder
Überleben. Wider die Zurichtung des
Menschen zu einem Element des Marktes.
Zürich, München 2001,
S. 172
/2/ Für eine Zukunft in
Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
und der Deutschen
Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in
Deutschland, Hannover
und
Bonn 1997, S.26
/3/ Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte; verabschiedet von der
Generalversammlung der Vereinten
Nationen am 10.
Dezember 1948 ; Artikel 22 und 23 (1),
(2), (3),
/4/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS
von Papst Johannes Paul II. In :
Verlautbarungen des Apostolischen
Stuhls Heft 32, vom
14. September 1981, S.36
/5/ Für eine Zukunft in
Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O.,
S.53
/6/
ebenda, S.52
/7/ J. Strasser : Leben oder
Überleben. Wider die Zurichtung des
Menschen zu einem Element des Marktes.
a.a.O.
S. 191
/8/ M.
Luther. Predigten, Jena 1927, S.422
/9/ K
.Marx / F. Engels : Manifest der Kommunistischen Partei. In : Marx /
Engels :
Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Berlin 1968, Bd. I, S.28
/10/
Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O.,
S.24
/11/
Vgl.: Süddeutsche Zeitung vom 12.3.2001
/12/
Globale Dumping-Stafette. Norbert Blüm zu Kolonialherren neuer Art und
der
Verwirtschaftung der Gesellschaft. In: Süddeutsche Zeitung , 21.03.2002
/13/ T. Peters : Der
Innovationskreis. Ohne Wandel kein Wachstum –
wer abbaut, verliert, München 2000,
S. 129
/14/ H.
Thie: Schröder in der Beschäftigungsfalle. In: Freitag. Die
Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 3 / 2002
/15/
Bertolt Brecht: Schriften, Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1973, S. 117f
/16 O. Lafontaine :
Die Wut wächst. Politik
braucht Perspektiven. München 2002, S.11
/17/
Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O., S.16
/18/ M. Luther. An den
christlichen Adel deutscher Nation von des
christlichen Standes Besserung. In.
M. Luther : Die
Hauptschriften, Berlin o. J., S.246
/19/ E. Eppler : Die Wiederkehr
der Politik. Frankfurt a.M. 2000,
S.116
/20/
Vgl.: M. Schwarzbach und T. Strohschneider: Heftige Diskussionen in der
Gewerkschaft vor dem
Leipziger Zukunftskongreß. In Neues
Deutschland, 12.06.2002
/21/ Für
eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O., S.39
/22/ O.
von Nell-Breuning: Baugesetze der Gesellschaft. Freiburg, Basel, Wien
1990, S.
64 f
/23/
Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O., S.31
/24/ Für
eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O.,, S.62
/25/
Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O. , S.8
/26/
Vgl.: O. von Nell-Breuning : Baugesetze der Gesellschaft. a.a.O., S. 65
/27/
Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O. , S. 21
/28/ H. Thie:
Schröder in der
Beschäftigungsfalle. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 3 /
2002
/29/ J.
Bischoff /
S.Herkommer / H.Hüning : Unsere Klassengesellschaft. Hamburg 2002, S.228
/30/
Vgl.: Christa Luft : Gemeinwohl nur gesponsert. In. Neues Deutschland ,
12.07.2002,
/31/A zitiert nach H. C.
Biswanger : Dominium und Patrimonium –
Eigentumsrechte und –pflichten unter dem
Aspekt
der
Nachhaltigkeit. In: M. Held / H. G. Nutzinger
: Eigentumsrechte verpflichten. Frankfurt a.M 1998,
S. 130
/32/
Vgl.: Sofortmaßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
PDS-Bundestagsfraktion,
März 2002
/33/ J. Strasser : Leben oder
Überleben. Wider die Zurichtung des
Menschen zu einem Element des Marktes.
a.a.O.
S. 22